Auf einer Weltreise entdeckt Christin ihre Leidenschaft fürs Wandern. Ein Jahr später hat die 35-jährige Wahl-Berlinerin ihr neues Hobby zum Beruf gemacht und unterstützt als selbständiger Wandercoach andere Menschen bei der Verwirklichung ihrer privaten und beruflichen Träume.
Wie sie ihre Reise verändert hat, warum die Natur die perfekte Umgebung für neue Erkenntnisse ist und wie die Corona-Krise ihre frische Selbständigkeit beeinflusst, erzählt Christin uns im Interview.

Vor drei Jahren hast du dich entschieden, auf Weltreise zu gehen. Wie lange hattest du schon mit dem Gedanken gespielt und wann war der Punkt, an dem aus dem Traum einer langen Reise ein fester Entschluss wurde?

Seit ich denken kann liebe ich es, zu reisen. Schon mit 12 Jahren habe ich angefangen, mein Taschengeld für Reiterferien zu sparen. Im Studium bin ich dann für ein Praktikum nach Australien gegangen und im Anschluss noch für drei Monate gereist, auch durch Neuseeland. Damit war es dann vollends um mich geschehen. Das Reisefieber hatte mich gepackt und es war klar: Das sollte nicht meine letzte große Reise gewesen sein. Aber erst einmal wollte ich im Job Fuß fassen, habe dann einige Jahre gearbeitet und jeden Monat einen festen Betrag beiseite gelegt. 2016 haben mein Freund und ich entscheiden, dass es im Herbst 2017 endlich losgehen soll.   

Dein Arbeitgeber hat dir ermöglicht, die Auszeit als Sabbatical zu absolvieren. Hättest du den Schritt auch gewagt, wenn du deinen Job dafür hättest kündigen müssen?

Ehrlich gesagt habe ich fest damit gerechnet, meinen Job kündigen zu müssen. Ich war sehr überrascht, als meine Chefin mir sagte, der Geschäftsführer habe grünes Licht gegeben. Natürlich war das ein beruhigendes Gefühl, die Gewissheit zu haben, nicht gleich auf Jobsuche gehen zu müssen. Ich wäre den Schritt aber auch gegangen, wenn ich meinen Job dafür hätte aufgeben müssen. Mein Wunsch, diese Reise zu machen, war so groß, dass ich es in Kauf genommen hätte. 

Insgesamt 10 Monate warst du mit deinem Freund unterwegs. Welche Länder habt ihr bereist?

Wir sind in Hongkong gestartet und von dort nach Vietnam gereist – ein Land, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Wir hatten viel Kontakt zu Einheimischen und haben daher besondere Einblicke in die Kultur des Landes bekommen. Von dort ging es dann weiter nach Kambodscha, Laos und schließlich nach Thailand. In einem kleinen Dorf in Nordthailand trafen wir zufällig einen ehemaligen Kollegen meines Freundes und haben spontan mit ihm und seiner Freundin Silvester gefeiert. Das war echt ein lustiger Zufall, die Welt ist klein. Von Bangkok sind wir dann nach Tasmanien geflogen, wo wir unsere erste mehrtägige Wanderung unternommen haben. Auf dem Three Capes Track habe ich meine Leidenschaft fürs Wandern entdeckt. Erst einige Monate später sollte mir klar werden, dass diese Wanderung auch einen Wendepunkt in meiner beruflichen Laufbahn bedeuten sollte. 

Vier Wochen später ging es für uns nach Neuseeland. Das Wiedersehen mit dem Land am anderen Ende der Welt nach zehn Jahren war wunderschön, hat uns aber auch gezeigt, wie sehr sich Orte durch den Tourismus verändern. Auf den Wanderungen wie dem Kepler oder Routeburn Track rückte diese Erkenntnis wieder in den Hintergrund. Hier dominierte Natur pur. 

Später reisten wir über Hawaii, ein magischer Ort, der immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben wird, in den Südwesten der USA. Hier wechselten die Farben von sattem Grün zu einer vollen Farbpalette an Orange- und Rottönen. Unser Tagesablauf wurde etwas durcheinandergebracht, da wir schon morgens um 7 los wanderten, um der Hitze zu entgehen. Nach einem Zwischenstopp in Las Vegas pendelte sich mit den Temperaturen auch unser Tagesrhythmus wieder ein, als wir an der Westküste Kanadas landeten. 

Auf Vancouver Island sahen wir zum ersten Mal Bären in freier Wildbahn. Unvergessen bleibt die Bärenmutter mit ihren beiden Kleinen, die wir vom Boot aus am Strand beobachten durften. Die Westküste ließen wir schließlich mit einem sieben Stunden Flug an die Ostküste Kanadas hinter uns. Neufundland, Prince Edward Island und Nova Scotia bildeten das große Finale einer wunderschönen Reise

Wenn du einen Moment oder ein Erlebnis eurer Reise nennen müsstest, das dir besonders stark in Erinnerung geblieben ist – welches wäre das?

Puh, als Reisende wisst ihr, wie schwer oder vielleicht auch unmöglich diese Frage zu beantworten ist 😉 Wenn ich darüber nachdenke, schießen mir gleich eine ganze Reihe von wunderschönen Landschaften ins Gedächtnis. Allerdings sind es vor allem auch die Begegnungen mit Menschen, die etwas ganz Besonderes für mich waren. Zum Beispiel mit Mali, die wir in Thailand auf Koh Jum kennengelernt haben. Sie hat aus einem kleinen Stück Land im Inneren der Insel einen tropischen Garten mit vier geräumigen Hütten gezaubert. Keiner in ihrer Familie wollte so recht glauben, dass eine kleine Ferienanlage im Inselinneren funktioniert, nicht einmal ihr Mann. Mali hat ihren Traum trotzdem durchgezogen und hat heute das best bewertetete Restaurant der Insel und ihre Unterkünfte sind immer gut gebucht.  

Mittlerweile bist du seit eineinhalb Jahren wieder zurück in Deutschland. Wie hat die Reise dein Leben verändert?

Es hat sich so viel verändert. Angefangen hat alles damit, dass ich mich verändert habe. Durch Geschichten wie Malis habe ich plötzlich gespürt, dass alles im Leben möglich ist. Du musst nur wissen, was du willst. Und genau das, war jahrelang mein Problem – vor allem beruflich. Ich wusste nie so genau, was ich werden wollte. Eins ergab das andere und plötzlich fand ich mich in einem Job in der Kommunikation wieder, der ok war, aber mich nie richtig begeisterte. Nach der Reise war dann plötzlich alles anders. Ich hatte keine Begrenzungen mehr in meinem Kopf, kein „du musst aber“ oder „das geht doch nicht“… Nur die Frage, was ist es, das dich begeistert, dir gut liegt und womit du deinen Lebensunterhalt verdienen kannst?  

Ich hatte keine Begrenzungen mehr in meinem Kopf, kein „du musst aber“ oder „das geht doch nicht“.

Nach der Auszeit hast du den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und unterstützt nun als Wandercoach andere Menschen, ihren Weg zu finden und zu gehen. Wie kam es zu dieser Idee?

Rückblickend war es wie ein Puzzle, das nach und nach ein Bild ergeben hat. Ich habe es schon immer gemocht, tiefgründige Gespräche zu führen. Die Idee, als Coach zu arbeiten, hatte ich bereits während der Reise. Allerdings in einem anderen Setting: Ich wollte Menschen unterstützen, die aus dem Ausland nach Berlin ziehen, weil sie hier eine neue Stelle beginnen. Ich fand die Idee gut, mein Bauchgefühl war allerdings anderer Meinung und sorgte dafür, dass es sich nie richtig gut anfühlte. Irgendwann habe mich gefragt, was mich denn begeistern könnte. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wo hatte ich meine wertvollsten Erkenntnisse auf Reisen gewonnen? Auf unseren Wanderungen. 

Wie ging es mit dieser Erkenntnis für dich weiter?

Mit der Idee, als Wandercoach zu arbeiten, kam die Begeisterung. Ich startete mit meiner Coaching-Ausbildung und probierte passende Wanderrouten rund um Berlin und in der Sächsischen Schweiz aus. Ich war einfach Feuer und Flamme. Später in meiner Ausbildung machte ich die ersten Wandercoachings. Meine Klientinnen hatten tolle Erkenntnisse. Bei einer platzte der Knoten und sie weinte, weil sie so erleichtert war. Das hat mich tief berührt. Ich kann es kaum in Worte fassen, aber in dem Moment habe ich gespürt, dass ich an meinem Platz angekommen bin.

Hast du gleich alles auf eine Karte gesetzt und dich Vollzeit deiner Selbständigkeit gewidmet?

Die ersten Vorbereitungen habe ich parallel zu meinem Job begonnen. Im Oktober 2019 bin ich All-in gegangen und seitdem in Vollzeit selbstständig.

Klassischerweise denkt man bei Coachings ja eher an ein Zwiegespräch in geschlossenen Räumen. Was genau kann man sich unter einem Wandercoaching vorstellen?

Bei meinen Wandercoachings findest du weder Wände, Decken noch Flipcharts. Stattdessen gibt es viel frische Luft, Bäume, Seen und Bewegung für dich. Meine Klienten kommen häufig zu mir, weil sie in ihrem Job nicht zufrieden sind. Es hilft ihnen sehr, dass die Umgebung des Wandercoachings so gar nichts mit ihrem Alltag im Büro gemein hat. Dadurch gewinnen sie wie von allein Abstand zu ihrer beruflichen Situation und es entsteht Platz für neue Ideen und Herangehensweisen. 

Warum eignet sich eine Wanderung besonders gut, um neue Erkenntnisse zu gewinnen?

Wandern und Coaching sind wie füreinander geschaffen. Die Bewegung in der Natur sorgt dafür, dass dein Körper Stresshormone abbaut und die Glückshormone Dopamin und Serotonin ausschüttet. So kannst du entspannen und deine Gedanken in Ruhe ordnen. Das Wandern löst zudem einen Neustart in deinem Gehirn aus: Durch die Bewegung wird der Bereich deines Gehirns aktiviert, der für deine Motorik zuständig ist. Gleichzeitig fährt der Bereich des logischen Denkens kurz herunter. Dieser Reboot hilft dir, dich auf dein Thema zu fokussieren und verschafft dir einen freien Kopf. Die frische Luft im Wald versorgt dich permanent mit Sauerstoff und unterstützt dich beim Nachdenken. 

Wem würdest du ein Wandercoaching ans Herz legen?

Jedem, der gerne in der Natur unterwegs ist, und sich seit längerem mit einem Thema beschäftigt, aber keine Lösung findet. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass du es kaum erwarten kannst, dass endlich Wochenende ist, weil du unzufrieden im Job bist. Oder du bist von einer Auszeit zurück, hast eine tolle Idee, traust dich aber nicht, sie umzusetzen. Oder du hast ein Jobangebot in einer anderen Stadt, kannst dich aber nicht entscheiden, ob du dafür wirklich umziehen möchtest. Coaching hilft auch bei Präsentationsängsten, dem Wunsch nach einem stärkeren Selbstbewusstsein oder mehr Gelassenheit in bestimmten Situationen. Die Themen sind sehr vielfältig. Ein Wandercoaching ist in jedem Fall eine Abkürzung. Es hilft dir, Zugang zu deinen inneren Bedürfnissen, Wünschen und Lösungswegen zu erhalten und so Antworten auf deine Fragen zu bekommen.

Was sind deine drei Tipps für Menschen, die ebenfalls von einer längeren Reise träumen oder sich beruflich selbst verwirklichen möchten, sich aber (noch) nicht trauen?

Tipp 1
Verbinde dich mit deinem Ziel, indem du es visualisiert: Such dir dafür einen Ort, an dem du für 5 Minuten ungestört bist und schließe die Augen. Stell dir einen Ort vor, den du auf deiner Reise besuchen möchtest. Denk daran, was du dort erleben, was du sehen wirst, wen du vielleicht treffen wirst. Lass alles wie einen Film vor deinem inneren Auge ablaufen. Wiederhole die Übung jeden Morgen, bis die Kraft und die Begeisterung in dir so groß sind, dass sie dir den letzten Stups geben, für deinen Traum loszugehen.

Tipp 2
Frage Dich: Du lebst heute, hier und jetzt. Das Einzige, was zählt, ist dieser Moment. Also, worauf warten? 

Tipp 3
Frage Dich: Am Ende deines Lebens blickst du auf dein Leben zurück – an welche Tage wirst du dich erinnern? An welche Tage willst du dich erinnern?  

Eine letzte Frage, die sich in der aktuellen Zeit leider aufdrängt: Wie gehst du mit den Einschränkungen rund um COVID-19 um? Und vor allem: Wie beeinflusst das Virus die Ausübung deines Jobs?

Es hat einige Tage gedauert, bis ich mich auf die aktuelle Situation einlassen konnte. Meine Wandercoachings sollten am 1. April starten. Meine Vorfreude war groß und von einem auf den anderen Tag war klar: Das wird jetzt erst einmal nix. Ich bin ganz ehrlich – für ein paar Tage habe ich mich hängen lassen und war deprimiert und traurig. Ich kann mir gut vorstellen, dass es vielen anderen ähnlich ging und geht. Du hast Träume, schmiedest Pläne und plötzlich ist alles anders.

Mir hat es sehr gut getan, mitfühlend mit mir zu sein, meine Gefühle anzunehmen und ihnen Raum zu geben. Dadurch bin ich wieder in meine Kraft gekommen – ich fühle mich gelöster und habe neue Ideen. Die Digitalisierung ist in diesen Zeiten ein Segen. Was liegt da näher, als meine Coachings für den Übergang online anzubieten?

Wir alle haben jetzt die Chance, uns neu zu erfinden. Ich denke da vor allem an Selbstständige, die wie ich gezwungen sind, ihr Business zu verändern. Aber auch an Berufstätige, die seit Monaten oder vielleicht sogar Jahren mit ihrem Job hadern. Plötzlich ist die Zeit da, sich mit dir und deinem Leben zu beschäftigen – herauszufinden, was du wirklich willst und dich glücklich macht.  

Wir alle haben jetzt die Chance, uns neu zu erfinden.

Ich hoffe sehr, dass wenn diese Krise überstanden ist, die Menschen den Drang verspüren, für ihre Träume loszugehen. Keinen Tag länger zu warten. Wenn uns diese Krise eins zeigt, dann doch, wie wertvoll jede Minute unseres Lebens ist und dass wir keine davon vergeuden sollten.

Vielen Dank für das tolle Interview!

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Copyright Fotos: Hike Inspired

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